KARATE – Das grundlegende Stilkonzept

KARATE – Das grundlegende Stilkonzept

Als Meister Funakoshi 1922 nach Japan kam sah er sich bald mit einer neuen Mentalität konfrontiert, die das Bild des okinawanischen Karate entscheidend verändern sollte. Auf Okinawa war es bis zu jenem Zeitpunkt unüblich, durch die Auswahl der Methoden aus dem Hauptsystem eigene Stile zu gründen, die sich dann selbst für wichtiger als das Hauptsystem hielten.

Wohl bestand das Okinawa-te aus einem immensen Umfang an Methoden und Techniken, so daß es keinem einzelnen Menschen möglich war, sie alle zu beherrschen. Doch die Meister konzentrierten sich in ihrem Unterricht auf persönliche Schwerpunkte aus dem Gesamtsystem und lehrten – ohne gleich einen eigenen Stil zu gründen – ihre eigene Auffassung von Kampfkunst. Sie alle schöpften aus einem riesigen System – dem Okinawa-te – dem jede persönliche Auffassung untergeordnet blieb, jedoch dann, wenn sie von Wert war, vom Hauptsystem selbstverständlich übernommen und bewahrt wurde. Lediglich nach dem Gebiet, in dem die Meister wohnten, unterschied man das Okinawa-te in Shuri-te, Tomari-te und Naha-te. Meister Funakoshi gehörte zu den großen Experten der okinawanischen Kampfkunst. Mehr als dreißig Jahre lang war er Schüler des Shorin-ryu. er übte zuerst unter den Meistern Itosu und Azato das Shurit-te und danach unter mehreren Meistern (Matsumora, Niigaki) das Tomari-te. Er kannte den ungeheuren Umfang des Okinawa-te besser als jeder andere und wußteum das Prinzip der Unantastbarkeit des Hauptsystems. In den jeweiligen Schulen des Shorin-ryu übte man nur eine kleine Zahl von Kata, je nachdem welche Schwerpunkte von dem Meister der Schule gesetzt wurden. Doch niemand entfernte sich vom Hauptsystem oder sersuchte das Hauptsystem durch seine persönliche Ansicht zu ersetzen. Die Achtung vor dem Hauptsystem als Ganzes ermöglichte jedem Meister seinen Weg aus einer großen Vielfalt von Möglichkeiten zu wählen. Durch die langjährige Erforschung der okinwanischen Systeme hatte Meister Funakoshi einen tiefen Einblick in die Möglichkeiten, die darin enthalten waren. Als er jedoch nach Japan kam, traf er auf eine neue Mentalität, die das Lehren der Kampfkunst nach altem okinawanischen Muster unmöglich machte. In Japan war man gerade dabei, die Kampfkünste von der Tradition zu entfernen und als Konsumware anzubieten, weil man sich dadurch eine schnellere Verbreitung und natürlich auch persönliche Vorteile erhoffte. Dazu brauchte man den klar umrissenen, konkurrenzfähigen Stil, der marktorientiert zurechtsgeschnitten die Gegenüberstellungen zum anderen Stil aushielt. In dieser veränderten Auffassung begann Meister Funakoshi in Japan zu unterrichten. von Anfang an wurde deutlich, daß er seine japanischen Schüler mit dem was im okinawanischen Karate bisher galt nicht begeistern konnte. Die modernen Japaner suchten den Anschluß an die konsumorientierte Welt und verzehrten sich in der Bemühung Qualität duch Quantität zu ersetzten. Karate als Weg konnte in Japan jener Zeit nur schwer überleben. Es brauchte den sportlichen Aspekt, den Wettbewerb und den äußeren Reiz. Meister Funakoshi wehrte sich lange dagegen, denn er ahnte, daß Karate dadurch seinen Inhalt verlieren würde. Er suchte nach Möglichkeiten, die ihm erlauben würden beides miteinander zu verbinden.
Die bedeutendste Erneuerung war, dass er schließlich erlaubte, dass über das Kata-Bunkai hinaus noch andere Formen des Kumite in die Übung einflossen und nach und nach zum festen Bestandteil des Trainings wurden.
So entstand zuerst das Gohon-Kumite und Sanbon-Kumite, danach das Kihon Ippon-Kumite, das Jiyu Ippon-Kumite und schließlich das Jiyu-Kumite.
Eine der größten Aufgabe war allerdings das Übungssystem so anzupassen, dass das Training den Zugang zum Karate als Ganzes auch für die Zukunft gewähren kann, in seinem Umfang aber soweit begrenzt war, dass die Übungen nicht in bloßes Formstreben ausartet.
Die okinawanische Methode, die Schüler drei jahre lang ein und dieselbe Kata wiederholen zu lassen (Hito kata san nen), konnte in Japan unmöglich angewendet werden. Es dauerte fast 15 Jahre bis Meister Funakoshi sich endgültig entschied, die Kata in seiner Schule zu reduzieren. In seiner ersten Veröffentlichung (Ryukyu Kempo Karate, 1922) beschreibt er noch die Kata Pinan 1-5, Naihanchi 1-3, Basai-dai, Bassai-sho, Kushanku-dai, Kushanku-sho, Gojushiho, Sesan, Chinto, Chinte, Ji’in, Jion, Jitte, Wanshu, Wandau, Rohai, Jumu, Wando, Sochin, Nisehi, Sanseru, Suparinpei, Wanku-wan, Kokan und Unsu. Dies ist ein bunt gemischtes Systems, in dem alle okinawanischen Schulen inbegriffen sind, doch es war als Unterrichtsmethode zu breit. Erst in seinem letzten Buch „Karate-dô Kyôhan“ legt Funakoshi die Kata seines Systems auf 15 fest.

Die Auswahl der Kata Diesen „mittleren Weg“, von dem Meister Funakoshi auch im „Karate-dô Kyôhan“ spricht, fand er in der Auswahl von 15 Kata. Von den vielen Formen, die es im okinawanischen Shôrin-ryû gibt, wählte er jene aus, die seiner Meinung nach für die wichtigsten Karate-Aspekte repräsentativ waren und dem späteren Meister die Möglichkeit eröffnen, in jeden Bereich des okinawanischen Karate vorzustoßen.
Seinen Unterricht baute er jedoch nur auf diesen 15 Kata auf, obwohl seine Schüler noch viele andere Formen übten. Er erlaubte dies natürlich und sagte, es können nicht schaden, wenn die Schüler auch andere alte Karate-Kata studierten. Doch die Shôtôkan-Schule, wie sie sich in den 30iger Jahrer herauszubilden begann, konzentrierte sich auf das Bunkai dieser 15 Kata. Bis heute hat sich diesbezüglich nichts geändert, obwohl es im modernen Shotokan-System inzwischen eine große Anzahl von Kata gibt.